picture

2.2.3 Offene Fragen

Ein aktuelles Problem in der Diskussion ist die Einordnung und Übertragung des klassischen Rundfunkbegriffes auf den Bereich der IKT. Hierzu äußert sich die Multimedia-Enquete des Landes Baden-Württemberg:

„Dabei ist als Kernfrage zu klären, welche Dienste und welche Inhalte unter den Begriff des Rundfunks und der Massenkommunikation fallen sollten (Gesetzgebungskompetenz der Länder) und welche der Individualkommunikation zuzurechnen sein werden (derzeit bundesrechtlich geregelt). Denkbar ist eine differenzierende Regelungsdichte bei unterschiedlichen Diensten, je nach Relevanz für die Allgemeinheit."(1)

Aufgrund der konvergierenden Verbreitungstechniken bleibt allerdings fraglich inwieweit eine solche Differenzierung gelingen kann.

Die immer rasanter fortschreitenden technischen Entwicklungen schaffen unterdessen Realitäten auch ohne gesetzliche Regularien. Die Legislative hinkt der Entwicklung zwangsläufig hinterher.

„Und auch die Vielfalt der via Internet vermittelten Mediendienste selbst wächst beharrlich. Alte Medien schaffen sich selbst Internetpräsenz und werden im Internet kopiert: Radio via Internet gibt es schon heute, Fernsehen ist nur noch eine Frage der Zeit. Und hier fangen die Definitionsprobleme erst an."(2)

Wie soll also zukünftig vermieden werden, daß Gesetze sich schon bei ihrem Inkrafttreten nicht mehr an den realen Notwendigkeiten und technischen Möglichkeiten orientieren?

Betrachtet man die derzeitigen mit heißer Nadel gestrickten Gesetze, Entwürfe und Presseerklärungen des Bundes, insbesondere des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF), so wird deutlich, daß den Forderungen der EU(3) insgesamt nur halbherzig nachgekommen wird und daß unter dem Motto Multimedia möglich machen(4) lediglich Deregulierung im Interesse der Konzerne verfolgt wird. Hier setzt auch Martin Recke mit seiner Kritik am aktuellen Entwurf des Multimediagesetzes (5) an:

„Der BMBF-Entwurf - ein Meisterstück der minimal art - ist dort sympathisch, wo er der digitalen Öffentlichkeit Spielräume zu öffnen beabsichtigt. 'Teledienste sind frei', heißt es schlicht in Paragraph 4. 'Sie bedürfen keiner besonderen Anmeldung oder Zulassung.' In diesem Satz, der als schlichte Einladung an Investoren gemeint ist, kommen die Nutzer jedoch nicht einmal als Konsumenten vor. Das Marktvertrauen ist in Bonn offenbar grenzenlos. Das Recht in seiner erhabenen Schönheit, möchte man mit Anatol France sagen, verbietet es Armen und Reichen gleichermaßen, unter Brücken zu schlafen."(6)

Wie weitreichend die Vorstellungen der Europäischen Union (EU) dahingegen sind, wird in den Forderungen und Empfehlungen deutlich, die dem folgenden Auszug aus dem Bericht der europäischen Multimedia-Enquete-Kommission entnommen werden können:

„[...] Governments should commit themselves to a broadly-based improvement of the quality of life for ordinary people by assuring the electronic provision of public services.

There must be universal access to on-line public services and public information.

The Forum has no doubt that there must be universal access not only to on-line public services but also to on-line public information. Public authorities must make services generally available and ensure that people have the technical means to go 'on-line'.

This is the route to:

  • better quality services that respond to peoples' needs and are accessible to everyone
  • more efficient public administration
  • much greater public access to information
  • a democratic bonus that allows people to manage rather than be managed in their relationships with public authorities
  • more efficient working of the single market and of common policies through electronic links between national and EU administrations." (7)

Unklar bleibt, wie die, in sozialer Hinsicht weitreichenden, EU-Forderungen im Sinne der Initiatoren hierzulande umgesetzt werden sollen.

Wenn, wie beschrieben, selbst die Amerikaner mit ihrer längeren Erfahrung auf diesem Gebiet, nicht glauben, daß eine ausschließliche Fixierung auf einen Markt, der sich allein an Einschaltquoten und Werbeeinnahmen orientiert, ausreicht, um den staatlichen Informationsaufgaben gerecht zu werden, sollte die deutsche Politik alles daran setzen, dem demokratischen Willensbildungsprozeß die Grundlage zu verschaffen, die nötig ist, um dieses konstitutive Element der Demokratie nicht allein ökonomischen Wunschvorstellungen preiszugeben.


(1) Enquete-Kommission „Entwicklung, Chancen und Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in Baden-Württemberg" (Multimedia-Enquete), Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 11/6400 vom 20.10.1995

(2) Recke, Martin, Steine statt Brot, Vorabveröffentlichung eines Artikels für den Evangelischen Pressedienst/Kirche und Rundfunk (epd/Kifu), Red. epd/Kirche und Rundfunk, Postfach 50 05 50, 60394 Frankfurt am Main, erschienen am 25.7.96 u.a. in der Newsgroup <de.soc.netzwesen>, Message-ID: <slrn4veraf.76.mr94@dose.in-berlin.de>.

(3) Die Ministerkonferenz der G7-Länder über die Informationsgesellschaft forderte am 25./26. Februar 1995 in ihrem offiziellen Ergebnisprotokoll wörtlich: „Politische Maßnahmen, die für einen raschen und erfolgreichen Übergang zur Informationsgesellschaft sorgen sollen, müssen ein Höchstmaß an Teilnahme sichern und die Herausbildung einer Zweiklassengesellschaft verhindern. Ein Universaldienst ist ein tragender Pfeiler bei der Entwicklung einer politischen Strategie dieser Art." Zitiert nach: EUROPE-Dokumente Nr. 1923, S. 2, in: Multimedia-Enquete Baden-Württemberg, a.a.O.

(4) „'Multimedia möglich machen' heißt in erster Linie, Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in Deutschland optimale - und dies heißt vor allem einheitliche! - Entwicklungsbedingungen finden." (Statement von Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für neue Informations- und Kommunikationsdienste), Bonn, 2. Mai 1996, vgl. <http://www.iid.de/rahmen/statementmm2596.html>

(5) Das gemeinhin als Multimediagesetz bezeichnete Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz liegt derzeit in einem Entwurf vor (IuKDG-E, <http://www.iid.de/rahmen/iukdg.html>) und wurde nach der ersten Lesung im Bundestag (18.4.97) an die damit befaßten Ausschüsse weitergeleitet.

(6) Recke, Martin; Steine statt Brot, a.a.O.

(7) „First Annual Report to the European Commission from the Information Society Forum", June 1996, Final rev. 5/7/96, <http://www.ispo.cec.be/infoforum/pub/inrep1.html>


[Vorherige Seite] [Inhaltsverzeichnis] [Nächste Seite]