picture

3.3 Neue gesellschaftliche Ungleichheiten

Die romantische Vorstellung von einer völkerverbindenden globalen Informationsgesellschaft durch IKT scheitert bereits an der Erkenntnis, daß die Mehrheit der Weltbevölkerung heute noch nicht einmal Zugang zu einem Telefon, geschweige denn zu einem vernetzten Computer hat. Es steht deswegen eher zu befürchten, daß sich das bereits bestehende Nord-Süd Gefälle in Zukunft verfestigen oder sogar noch verstärken wird:

Staat Einwohner pro Telefon
Afghanistan 981
Angola 248
Äthiopien keine privaten Telefone
Bangladesch 531
Bolivien 53
Deutschland 2
Japan 2
Kambodscha keine privaten Telefone
USA 2
Abbildung 11: Telefondichte in ausgewählten Staaten(1)


Region Zahl angeschlossenener Länder
Afrika 8 von 52
Asien 23 von 47
Australien/Ozeanien 4 von 14
Europa 37 von 40
Nord-/Mittelamerika 13 von 21
Lateinamerika 9 von 14
Abbildung 12: Geographische Verteilung der Länder mit direktem Internetanschluß 1995(2)

Aber auch in den Industrienationen besteht die Gefahr einer neuen gesellschaftlichen Spaltung in information rich und information poor:

„Solange die Informationstechniken einer relativ wohlhabenden, gebildeten und privilegierten Elite vorbehalten bleiben, besteht ein soziales und demokratisches Defizit, das eine potentielle Gefahr für das bestehende Gesellschaftsgefüge darstellt."(3)

Was bisher schon für den Zugang zum Bildungswesen und zu beruflicher Qualifikation gilt - nämlich die Benachteiligung sozialer Randgruppen, ausländischer Mitbürger, alter Menschen, Mädchen und Frauen - könnte sich zukünftig im Hinblick auf die IKT fortsetzen. Wenn einer solchen Entwicklung nicht auf breiter gesellschaftlicher und politischer Basis entgegengewirkt wird, werden bestehende Verhältnisse von Benachteiligung und Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft nicht nur festgeschrieben, sondern darüber hinaus auch verstärkt.

Auch wenn sich die Nutzer-Zusammensetzung des Internet schrittweise dem demographischen Querschnitt der Bevölkerung angleicht, bleibt das Internet derzeit noch ein Instrumentarium für einen Personenkreis, der in finanzieller und intellektueller Hinsicht eher einer Info-Elite zuzuordnen ist (vgl. folgende Tabelle).

Altersdurchschnitt: 30 Jahre 30 Jahre
Geschlecht: Männer 90,8 % Frauen 9,2 %
Schulabschluß: Keiner 1,4 %
Hauptschulabschluß 4,2 %
Mittlere Reife 16,0 %
Abitur 78,4 %
Berufl. Tätigkeit: Studenten 29,8 %
Angestellte 36,4 %
Selbständige 12,7%
Schüler/Azubi 5,8 %
Doktoranden 5,1 %
Beamte 3,9 %
Sonstige 6,3 %
Abbildung 13: Demographische Eckdaten - Internetnutzer(4)

Ohne unterstützende staatliche Rahmenbedingungen wird sich daran auch nicht viel ändern. Für Empfänger von Sozialhilfe bleibt der Zugang zum Internet nicht allein aufgrund der Ausgaben für Hardware, Provider und Telekommunikations-Gebühren erschwert, sondern häufig genug auch aufgrund fehlender Ausbildung.

Ein diskriminierungsfreier und kostengünstiger Zugang zum Internet für alle ist zur Vermeidung einer Spaltung der Gesellschaft in information rich und information poor zwingend notwendig. Und das gilt - u.a. auch wegen der prohibitiven Telekommunikations-Kosten in Deutschland - besonders, aber nicht nur, für die Ärmsten der Gesellschaft. Die besondere Brisanz einer solchen Spaltung betont Müller-Maguhn:

„Der Wandel zur 'Informationsgesellschaft' im Sinne eines Wandels von der Produktions- in die Dienstleistungsgesellschaft mit dem Hauptrohstoff und Zentralbestandteil INFORMATION hat ja schon einige Zeit begonnen. [...] Kommunikationswege werden zu einem Wirtschaftsgut und Informationen zu einer Ware [...] ohne dabei von vorneherein Maßstäbe für einen demokratisch garantierten Mindestzugang für alle Bürger festzuschreiben. Hier gibt es staatliche Versäumnisse, die den Sprengstoff für die gesellschaftlichen Konflikte der nächsten hundert Jahre oder mehr liefern könnten." (Müller-Maguhn 1996)(5)

Bislang ist darüber hinaus Internetnutzung komplex und erfordert Kenntnisse und Fertigkeiten der Computerbedienung. Damit möglichst breite Bevölkerungskreise an den Informations- und Kommunikationstechniken teilnehmen und diese konstruktiv und kritisch nutzen können, bedarf es deswegen, neben der Entwicklung einfacherer Systeme, zunächst großer Anstrengungen im Bereich der Vermittlung von technischer und kultureller Medienkompetenz. Das wirtschaftliche Engagement von Konzernen wie Microsoft(6) läßt jedoch an andere Szenarien denken. Ohne wirksame Gegenregulation entwickelt sich das Internet zunehmend zu einem kommerziellen Massenmedium, in dem der Nutzer auf die Rolle des Konsumenten reduziert wird. Ein Zugang zu bedeutenden Informationen und die Fähigkeit zur Handhabe derselben werden so für die Mehrheit der Nutzer unmöglich. Gerade vor dem Hintergrund der hierzulande vorherrschenden wirtschaftlichen Deregulierung, besteht die Gefahr einer Machtkonzentration mit allen bekannten Auswirkungen auf Meinungs- und Informationsvielfalt.


(1) nach: Afemann, Uwe, Neue Kommunikationstechnologien in der 'Dritten Welt' (Quelle dort: CIA The World Factbook 1995), in: Edelgard Bulmahn u.a. (Hg.), Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie, Marburg 1996, S. 223

(2) nach: Afemann, Uwe, Neue Kommunikationstechnologien in der 'Dritten Welt', a.a.O., S. 220

(3) Arbeitsgruppe 2: Soziale und demokratische Grundwerte in der virtuellen Gemeinschaft in Forum Information Society, Netzwerke für Menschen und ihre Gemeinschaften, Juni 1996, Information Society Project Office: <http://www.ispo.cec.be/>

(4) Ergebniszusammenfassung der W3B-Umfrage Oktober/November 1996, <http://www.w3b.de/W3B-1996/Okt-Nov/Ergebnisse/Zusammenfassung.html>

(5) Müller-Maguhn, Andy, Visionen für eine informierte Gesellschaft, in: Jörg Tauss u.a., (Hg.), Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, Baden-Baden 1996, S. 935

(6) Im April 1997 kaufte Microsoft das Multimedia-Unternehmen WebTV für einen Betrag von rund 720 Mio. DM. „WebTV hat eine Technik entwickelt, die einen einfachen Zugang zum Internet und den Versand elektronischer Post über Fernsehgeräte ermöglicht. Fachleute sagen dem Internet-Zugang über Fernsehen großes Wachstum voraus." (Rheinische Post v. 08.04.1997)

[Vorherige Seite] [Inhaltsverzeichnis] [Nächste Seite]