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5 Schlußbemerkungen

„Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens - ein ungeheueres Kanalsystem, das heißt er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, auch den Zuhörer [...] nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen." (Radiotheorie, Bertolt Brecht 1932)

Heute verfügt die Gesellschaft mit den IKT über die technisch besten Voraussetzungen, Bertold Brechts mediale Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Wir sind in der Lage, uns, unabhängig von Zeit und Raum, mit Hilfe vernetzter Computer zueinander in Beziehung zu setzen. In der Analyse demokratiefördernder Potentiale der IKT und kultureller Besonderheiten des Sozialraums Internet haben wir dementsprechende Chancen, aber auch Grenzen aufgezeigt.

Innerhalb der technischen Strukturen globaler Datennetze haben sich neue Formen menschlicher Interaktion und Kommunikation entwickelt, die als wesentliches Merkmal das Gemeinwesen und Gemeingut höher bewerten als einen kurzfristigen persönlichen Nutzen.

Noch existiert dieser Geist des freien Informationsflusses. Und auch wenn er, in Zeiten, in denen Politik und Wirtschaft massiv in diesen Raum eindringen, in der Solidarisierung kritischer Nutzer oftmals eine Wiederbelebung erfährt, ist er doch gleichzeitig auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.

Soziale Arbeit kann von den Erfahrungen dieser Netzkultur lernen und muß es auch, will sie darin eine Position einnehmen. Sie sollte sich des emanzipatorischen und kommunikativen Potentials des Mediums bewußt werden und sich dessen bedienen. In Zeiten, in denen ein immer größerer Finanzierungs- und damit auch Legitimationsdruck auf ihr lastet, helfen Öffentlichkeit und Transparenz zudem Druck abzubauen und befördern so auch die eigentlichen Ziele Sozialer Arbeit.

Aktuellen Entwicklungen wurde innerhalb des Sozialwesens zunächst zwar wenig Beachtung geschenkt, weil der Computer - erst recht in seiner vernetzten Form - oft als bedrohlich empfunden und deswegen pauschal abgelehnt wurde. Mittlerweile jedoch beginnt man, sich an dem aufregenden und zugleich aufgeregten Prozeß zu beteiligen und stürzt sich Hals über Kopf in die schöne neue Medienwelt.

Es wird experimentiert und abgekupfert, eigene Ideen werden entwickelt und erste Angebote präsentiert. Das ist wichtig, weil nur so das Medium tatsächlich erlebt werden kann, und es ist auch wichtig, weil sich so am besten eigenständige Positionen entwickeln und vertreten lassen. Für diejenigen, die nicht abwarten wollen, bis ihnen Nutzungskonzepte von oben vorgesetzt werden, mag es sogar essentiell sein.

Mit Projekten wie der Mailingliste Sozialarbeit, dem Internetführer Sozialwesen oder anderen engagiert betriebenen Angeboten sind wichtige erste Schritte getan worden. Was jetzt folgen muß, ist die Evaluierung und Koordination, um Ressourcen zu bündeln und zu praxistauglichen Instrumenten weiterzuentwickeln.

Alle Bemühungen des Sozialwesens bei der Nutzung von IKT erfordern jedoch, trotz aller Aufregung, stets auch ein kritisches Bewußtsein. Und dieses Bewußtsein sollte sich nicht allein in Verweisen auf Gefahren für die Jugend oder Bedrohungen durch eine Informationsüberflutung und im Ruf nach staatlich-repressiven Maßnahmen artikulieren. Denn Kinderpornographie, Gewalt und Rechtsextremismus sind keine Erfindung der Netze, sondern Ausdruck tief verwurzelter gesamtgesellschaftlicher Zustände und Probleme. Deswegen darf Jugendschutz nicht erst mit der Forderung nach repressiven Maßnahmen beginnen, sondern muß viel früher ansetzen.

Die Vermittlung von Medienkompetenz muß sich zur Vermittlung einer Netzkompetenz weiterentwickeln. Die Praxisfelder Kinder- und Jugendarbeit, Bildungswesen oder Medienpädagogik bieten mit wachsender Bedeutung der IKT zukünftig eine immer größere Fülle diesbezüglicher Aufgaben. Aber auch die Hochschulen werden sich dieser neuen Aufgabe stellen und mit zur Ausbildung der erforderlichen Kompetenzen beitragen müssen.

Lenkt man den Blick beispielsweise auf die, im Kreise von Sozialarbeitern und -pädagogen bislang kaum beachtete, Forderung nach staatlicher Regulierung von Verschlüsselungstechniken, wie sie von Innenminister Kanther am 28.04.97 gefordert wurde, und erinnert sich im Zusammenhang damit an den breiten Widerstand gegenüber der letzten Volkszählung vor nun genau 10 Jahren, so ist ohnehin kaum zu verstehen, warum, gerade innerhalb des Sozialwesens, nicht längst eine breit angelegte Debatte über die neuen Möglichkeiten staatlicher Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten geführt wird. Die Volkszählung jedenfalls erscheint, gegenüber der Verordnung einer Orwell'schen Neusprache und mit dem gläsernen Bürger vor Augen, heute eher wie ein Kinderspiel.

Gerade auch deshalb sollten, abseits aller Befürchtungen, wie begründet oder unbegründet diese auch sein mögen, auch weiterhin Experimente gewagt werden und die dabei entwickelten Vorstellungen und Forderungen offensiv artikuliert und diskutiert werden.

Bei aller Dringlichkeit, mit der die Auseinandersetzung um die IKT und ihre Implikationen zurecht behaftet ist, und bei aller Faszination, die von der Technik ausgehen mag, sollte die Beschäftigung damit jedoch keine Eigendynamik entwickeln, die den eigentlichen Zweck aus dem Blickwinkel verdrängt.

Für die Soziale Arbeit können vernetzte Computer geeignete Hilfsmittel zur Arbeitserleichterung sein, sie lassen sich in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen einsetzen und schaffen Öffentlichkeit. Und sie können Werkzeuge im Umgang mit und für den Zugang zu Klientengruppen sein.

Die Beschäftigung mit diesem Hilfsmittel jedoch darf nicht dazu führen, daß der Mensch aus dem Zentrum der Bemühungen verdrängt wird, weil sonst das neue Werkzeug zum Selbstzweck wird.


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