3.6 Arbeit in der InformationsgesellschaftAn die Weiterentwicklung und breite Anwendung der Informations- und Kommunikationstechnologien in der erwarteten Informationsgesellschaft sind optimistische Erwartungen, aber auch tiefgreifende gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen geknüpft. Für Beschäftigte wird es in Zukunft mehr denn je auf die Bereitschaft und Fähigkeit zu beruflicher Flexibilität und ständiger Weiterqualifizierung ankommen. Die Veränderungen von Wirtschaft und Berufswelt manifestieren sich zur Zeit u.a. in der Einrichtung neuer Studiengänge wie Medieninformatik, Design für elektronische Medien oder Medienmanagement und in der Schaffung neuer Berufsbilder:
Ob sich die neu eingerichtete Studien- und Ausbildungsgänge jedoch auf Dauer behaupten können oder, weil die Wirtschaft keinen ausreichenden Bedarf hat, bald schon wieder abgeschafft werden, wird sich erst noch zeigen müssen. Das Bundesministerium für Wirtschaft ging noch Anfang 1996 davon aus,
daß in den einzelnen Marktsegmenten der Informationswirtschaft
(Unterhaltungselektronik, Computerhardware und Software, Service, Online-Dienste
und Business-Service, Print- und elektronische Medien, Telekommunikation) ein
lang andauernder Wachstumsschub mit jährlichen Wachstumsraten von 7-15 % zu
erwarten ist.(2)
(b) Produktion und Distribution Abbildung 18: Erwerbstätige im Medien - und Kommunikationssektor 1992 bis 2010(3) Andreas Boes attestiert einer konsequent angewendeten Informations- und Kommunikationstechnologie sogar eklatante Jobkillerfunktionen:
War Arbeitsplatzabbau bis vor einigen Jahren noch in erster Linie auf den industriellen Produktionsbereich beschränkt, so fallen seit einigen Jahren auch im Dienstleistungssektor immer mehr Arbeitsplätze der Automatisierung und dem verstärkten Einsatz der IKT zum Opfer. In den Vereinigten Staaten ist diese Entwicklung bereits überdeutlich erkennbar:
Diese Entwicklung ist für Deutschland ebenfalls nachvollziehbar. Mit der verstärkten Nutzung der IKT, nicht allein für die Rationalisierung von Produktionsabläufen, sondern verstärkt auch für die Schaffung und Nutzung neuer und effizienterer innerbetrieblicher Ablauf- und Organisationsstrukturen im Sinne eines business rengineering, wird es zukünftig zu einem verstärkten Arbeitsplatzabbau auch in der mittleren Beschäftigungsebene kommen. Dann werden nicht mehr nur Arbeiter, sondern verstärkt auch Beschäftigte in Verwaltung und Organisation betroffen sein (vom einfachen Büroangestellten bis zum Manager). Möglich wird dies durch den konsequenten Einsatz der IKT. Die, im Zuge der Industrialisierung entstandenen, sog. funktionellen Hierarchien"(7) sind weitgehend an den Bedürfnissen der Massenproduktion orientiert und begründen ihre Autorität auf dem Wissensvorsprung der höheren gegenüber niedrigeren Beschäftigungsebenen. Dabei werden die Entscheidungs- und Handlungsspielräume des Einzelnen auf jeweils höhere Entscheidungsebenen transponiert, wodurch die Entfremdung von der eigenen Arbeit zunimmt. Dieses System wird bei stetig wachsenden Anforderungen an die betriebliche Flexibilität (durch veränderte Kundenwünsche, Globalisierung und immer kürzere Produkt-Generationszyklen) zunehmend ineffektiv. Zukünftig wird nicht mehr der größte, sondern der schnellste Anbieter die besten Chancen am Markt haben. Nur wer flexibel und präzise auf veränderte Marktgegebenheiten reagieren kann, wird die vorhandene Nachfrage schnellstmöglich und zielgenau befriedigen können. Flache innerbetriebliche Hierarchien, mit gut informierten Mitarbeitern auch an der Basis, sind bestens geeignet, neue Trends frühzeitig aufzuspüren und bedarfsgerecht umzusetzen. Mit Hilfe eines ungehinderten Informationsflusses zu allen am Produktionsprozess Beteiligten, lassen sich bei anstehenden Entscheidungen Reibungsverluste durch überbordende Verwaltung und Bürokratie, auch über Hierarchiegrenzen hinweg, effizient vermeiden. Mit dem Wegfall des Informationsmonopols innerhalb der betrieblichen Hierarchien, fällt auch die scharfe Trennung zwischen Entscheidungsträgern und Ausführenden. Als Folge dieser lean-Strategien" prognostiziert Schmiede eine fortschreitende Polarisierung der gesellschaftlichen Arbeit."(8) Dabei werden einerseits weiterhin Produktionsabläufe rationalisiert, aber andererseits wird zukünftig auch die mittlere Beschäftigungsebene verstärkt von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen sein. Am Ende dieser Entwicklung könnte eine Klasse von entfremdeten high-tech-Arbeitskräften" übrigbleiben, die unter einem extremen Leistungsdruck steht. Eng verbunden mit dieser Entwicklung wird laut Schmiede eine Polarisierung der Sozialstruktur" sein, die sich in einer Fortsetzung der derzeit bereits stattfindenden gesellschaftlichen Umverteilung von unten nach oben manifestiert. Dabei gilt es, vom Ideal der Vollzeitbeschäftigung Abstand zu nehmen.
Der Anteil der Beschäftigten in Teilzeit-, Leih- oder Zeitarbeit, und in Sonderformen wie (Schein-) Selbständigkeit und Franchising, nimmt unaufhörlich zu.(10) Es kommt zu Phänomenen wie Beschäftigung auf Bedarf" oder Just-in-Time-Beschäftigung".(11)
Das Prinzip des hire and fire und die Zunahme von Beschäftigungen mit Entlohnungen an der Grenze des Existenzminimums sind in den Vereinigten Staaten bereits an der Tagesordnung. Eine vergleichbare Entwicklung deutet sich auch hierzulande an. Das Fernsehmagazin Panorama(13) berichtete im Zusammenhang mit den Arbeits- und Lohnbedingungen beim Fast Food-Konzern Mc Donald's in Deutschland, vom Wachstum der Armut trotz Berufstätigkeit. Menschen die solche burger-jobs verrichten, verdienen, oftmals ohne die geringste soziale Absicherung, nur unwesentlich mehr als den Sozialhilfesatz. Anfang April wurde die Absicht des VW-Konzerns bekannt, ein internes Arbeitsamt(14) für den flexiblen Personaleinsatz einzurichten. So könnten, je nach Auftragslage, bis zu 1500 Arbeitnehmer befristet eingestellt werden, die überdies nicht nach dem Haustarif, sondern nach dem geringeren Tarif der Metallindustrie entlohnt würden. Dies würde nach Auskunft der IG-Metall dazu führen, daß Mitarbeiter am gleichen Arbeitsplatz unterschiedlichen Lohn erhalten. Die folgende Bestandsaufnahme ist sehr ernüchternd und relativiert überdies einige der euphorischen Erwartungen, die an die Entwicklung der Informationsgesellschaft geknüpft sind:
In ähnlicher Weise wird voraussichtlich auch hierzulande die Mehrheit der Beschäftigten nicht an den proklamierten Segnungen des Informationszeitalters teilhaben, sondern statt dessen die Masse der Verlierer bilden, die dann bis weit in den jetzigen Mittelstand hineinreichen wird. Martin und Schumann sprechen von der Furcht vor einer Deklassierung, die sich [..] in der Mitte der Gesellschaft ausbreitet."
Nicht das basisdemokratische Potential neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und das vermeintlich plebiszitäre Damoklesschwert über den Köpfen der Parlamentarier", wie Minister Rüttgers sich ausgedrückt hat (Kap. 2.1), wird das große Problem der Zukunft sein, sondern die ungebremsten Waren- und Geldströme der weltweit operierenden Konzerne einerseits und das Festhalten an alten Zielvorstellungen und Rezepten der Marktwirtschaft andererseits. Damit einhergehend kommt es zu fortschreitendem Beschäftigungs-, Lohn- und Sozialabbau und kontinuierlich schrumpfender Gestaltungsmacht" der Regierungen.
Waren Arbeitszeit und Freizeit, Arbeitsstätte und Wohnort bisher weitgehend voneinander getrennt, so könnte es mit einem Ausbau von Telearbeitsverhältnissen zukünftig zu einer verstärkten gegenseitigen Durchdringung dieser Bereiche kommen. Ob dabei die Vorteile eines Tele-Arbeitsplatzes (z.B. räumlich und zeitlich flexible und selbstbestimmte Strukturierung der Arbeit) die zu erwartenden Nachteile (z.B. mangelnde soziale Einbindung in den Betrieb, fehlende Einflußmöglichkeiten auf die betrieblichen Mitbestimmung) aufwiegen werden, bleibt offen. Gewerkschaften kritisieren eine Aufweichung des bestehenden Arbeitsrechts und die Tatsache, daß es vermehrt zu Werkverträgen oder anderen Formen freiberuflicher Tätigkeiten für z.T. mehrere Arbeitgeber kommen wird. Bei den beschriebenen Entwicklungen kann wegen sinkender Beschäftigungszahlen außerdem von einer zunehmenden Schwächung der Gewerkschaften ausgegangen werden. Dies erfordert auch bei den Arbeitnehmervertretungen ein Umdenken.
(1) aus dem Abschlußbericht des Arbeitskreises Beschäftigungspotentiale Neue Medien, Bonn im November 1996 (Mitglieder des Arbeitskreises: BMBF, BMA, Bundeskanzleramt, Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände, Bundesverband der Deutschen Industrie, Deutscher Industrie- und Handelstag und Zentralverband des Deutschen Handwerks, DGB, Deutsche Angestellten Gewerkschaft) (2) vgl. BMWi (Hg.), Info 2000 - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, Bericht der Bundesregierung, Bonn, Feb. 1996, S. 17 (3) Quelle: Prognos/DIW (1996); Berechnungen des ifo Instituts, in: Abschlußbericht des Arbeitskreises Beschäftigungspotentiale Neue Medien, Bonn im November 1996 (4) Gemeint ist: Henzler, H.A. u. Späth, L., Sind die Deutschen noch zu retten? Von der Krise in den Aufbruch, München 1993 (5) Boes, Andreas, Zukunft der Arbeit in der Informationsgesellschaft". Vortrag bei einer Veranstaltung der Bamberger Gespräche" des Arbeiterkultur- und Bildungsvereins am 13. Juni 1996 in Bamberg, Marburg 1996, <http://staff-www.uni-marburg.de/~boes/texte/bamberg.html> (6) Schmiede, Rudi, Die Informatisierung der gesellschaftlichen Arbeit, in: Edelgard Bulmahn u.a., Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie. Kritik - Positionen - Visionen, Marburg 1996, S. 101 f. (7) Klotz, Ulrich, ZukunftsArbeit - global, überall, jederzeit und online, in: Edelgard Bulmahn u.a., Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie. Kritik - Positionen - Visionen, Marburg 1996 (8) Schmiede, Rudi, Die Informatisierung der gesellschaftlichen Arbeit, in: Edelgard Bulmahn u.a., Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie. Kritik - Positionen - Visionen, Marburg 1996 (9) Schmiede, Rudi, Die Informatisierung der gesellschaftlichen Arbeit, a.a.O., S. 102 (10) vgl. Schmiede, Rudi, Informatisierung und gesellschaftliche Arbeit - Strukturveränderungen von Arbeit und Gesellschaft, in WSI 9/96, S. 538 (11) Rifkin, Jeremy, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt/Main, New York 1995, S. 135 (12) Schmiede, Rudi, Die Informatisierung der gesellschaftlichen Arbeit, in: Edelgard Bulmahn u.a., Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie. Kritik - Positionen - Visionen, Marburg 1996 (13) Magazin Panorama, ARD am 03.04.1997 (14) ap/dpa, Volkswagen will Zeitarbeiter unter Tarif einstellen, Rheinische Post vom 03.04.1997 (15) Schmiede, Rudi, Die Informatisierung der gesellschaftlichen Arbeit, a.a.O., S. 104 (16) Martin, Hans-Peter und Schumann, Harald, Anpassung nach unten, in: Der Spiegel, Nr. 39/96, S. 91 (17) Martin, Hans-Peter und Schumann, Harald, ebd. (18) Klotz, Ulrich, ZukunftsArbeit - global, überall, jederzeit und online, in: Edelgard Bulmahn u.a., Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie. Kritik - Positionen - Visionen, Marburg 1996, S. 95 |