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2.3 Rechts(un)sicherheiten

Neben der dezentralen Struktur des Internet und dem daraus resultierenden Nichtvorhandensein einer zentralen Administration, haben viele für den Bereich der IKT ungeregelte Rechtsfragen zu der Auffassung beigetragen, daß das Internet einen quasi rechtsfreien Raum darstellt, in dem weder Regeln noch Gesetze gelten. Werbebotschaften der Telekommunikations-Industrie haben zu diesem Image noch beigetragen:

„Keine Zensur, keine Diktatur - Aufregung pur!

Im Internet ist man frei. Es gibt keine Zensur, keine Diktatur und keine Filter. Jeder kann tun und lassen was er will - sei es noch so verrückt. Kein Aufsichtsratsvorsitzender oder Vorstand hat seine Finger im Spiel, denn es gibt keinen. Das Netzwerk des Internet ist nicht kommerziell, dafür kreativ-chaotisch."(1)

Straftatbestände, wie die Verbreitung volksverhetzender oder die Menschwürde verachtender Dokumente im Internet, sind jedoch durchaus Gegenstand rechtsstaatlicher Regulierungsbemühungen.

Die seit Ende vergangenen Jahres vorliegenden Entwürfe zum Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG-E) und zu dem, im Wortlaut fast gleichen, Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV-E) gehen u.a. auf diesen Regelungsbedarf ein. Das IuKDG soll dabei als Bundesgesetz vorrangig Belange der Individualkommunikation regeln und der MDStV in erster Linie Angelegenheiten der Massenkommunikation. Schon bei diesem Klassifizierungsversuch der neuartigen kommunikativen Erscheinungsformen im Internet kommt es wegen der konvergierenden Techniken jedoch zu ernsthaften Abgrenzungsschwierigkeiten.

Wie z.B. wären die vielen privaten Homepages von engagierten Netzbenutzern zu bewerten, die sich ähnlich wie die traditionellen Massenmedien an eine unspezifische Menge von Rezipienten richten und dabei aber weder kommerzielle Interessen verfolgen, noch einem öffentlichen Versorgungsauftrag nachkommen. Wie könnten die differenzierten Regelungen (vgl. Multimedia-Enquete Baden-Würtemberg) aussehen, die einerseits diese Angebote erfassen, ohne sie andererseits durch unangemessene Überregulierungen zu behindern?

Die Vertragsentwürfe zeichnen sich, wie schon das TKG, durch ein hohes Maß an Deregulation aus. Vorgesehen ist künftig z.B. die völlige Zulassungsfreiheit für Leistungsanbieter. Wichtige öffentliche Aufgaben sollen, wo es ökonomisch wünschenswert ist, scheinbar weitgehend dem Marktgeschehen überantwortet werden.

Bei der Einschätzung und Abgrenzung der neuen IKT wird an den „tradierten Dualismen" (2) von Individual- und Massenkommunikation festgehalten, die den Entwicklungen und Konvergenzen im Bereich der neuen Medien heute nicht mehr gerecht werden.

„Der Staatsvertrags-Entwurf geht von einem Regelungsmodell aus, für das ersichtlich Rundfunk- und Btx-Staatsvertrag (Btx-StV) Pate gestanden haben. Dies zeigt sich bereits im Geltungsanspruch des Staatsvertragsentwurfs: nach seinem § 1 erfaßt er 'das Angebot und die Nutzung von Mediendiensten in Text, Ton und Bild, die unter Benutzung elektrischer Schwingungen (...) verbreitet werden und die nicht vom Rundfunkstaatsvertrag erfaßt werden." (3)

Wenn es heute schon möglich ist, via Datennetz Radiosendungen oder Fernsehproduktionen zu übertragen, und wenn jeder Teilnehmer an diesem Datenaustausch zugleich Sender und Empfänger sein kann, dann macht es wenig Sinn mit überkommenen Vorstellungen regulierend an ein Medium heranzutreten, das sich immer noch konstituiert.


(1) Aus einem Werbeprospekt des Telekom-Partners 1&1 im Sommer 1995

(2) vgl. Tauss, Jörg <Tauss@mdb5.bn.eunet.de>, News: <de.soc.netzwesen>, Subject: SPD: Stellungnahme zum IuKDG, Date: 4.12.96, Message-ID: <32a597eb.7955282@personalnews.Germany.EU.net>

(3) Mayer, Patrick, Internet und andere Kommunikationsnetze - ein rechtsfreier Raum? Nationale Regelungen für die Kommunikation in Datennetzen, Studienarbeit an der juristischen Fakultät der Universität Tübingen, WS 96/97, <http://www.jura.uni-tuebingen.de/ge/seminar/mayer/semina.htm>


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