picture

2.3.1 Jugendschutz

In Art. 4 IuKDG-E wird der Schriftenbegriff aus § 11, Abs. 3 StGB auf Datenspeicher ausgedehnt, was die strafrechtliche Verfolgbarkeit entsprechender Inhalte auch in den neuen Medien zukünftig auf eine juristisch eindeutige Grundlage stellen soll. Gleichzeitig ist in Art. 6 IuKDG-E die Änderung des Schriftenbegriffs für das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) vorgesehen, die von Jörg Tauss folgendermaßen kommentiert wird: „Trotz gleicher Wortwahl wie im Strafrecht wären an eine solche Veränderung gänzlich andere Rechtsfolgen gebunden."(1)

Er stellt fest, daß die angestrebte Änderung dazu führen würde,

„[...] daß der Gesetzgeber damit ein Mittel schaffen würde, welches es z.B. einer extremen Gruppierung wie der Scientology-Sekte erlauben würde, eine kritische Auseinandersetzung in den öffentlichen Diskussionsforen der Internet-News durch gezielte Einbringung jugendgefährdenden Materials mit staatlicher Hilfe wirksam zu unterbinden."(2)

Bei der Einordnung und Bewertung potentieller Straftatbestände entstehen weitere Probleme, weil die Wirkung spezieller Prüfstellen für die neuen Medien fraglich bleibt. Zwar sieht die geplante Änderung des GjS (Gesetz über jugendgefährdende Schriften) vor, daß die BPS (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften) entsprechende Inhalte im Internet indiziert. Vergessen wurde jedoch offenbar, daß man es dort nicht mit einer überschaubaren Anzahl von Produzenten und deren Einzelwerken zu tun hat, sondern im Gegenteil mit einer Unzahl potentieller Sender auf der Grundlage einer radikal dezentralen technischen Struktur. Im Bereich der Newsgroups könnte sich bei Indizierungsversuchen folgende Situation ergeben:

„Eine Newsgroup ist keine 'Schrift'. Sie stellt nur den Umschlag dar, in dem Schriften verpackt und sortiert werden. Eine komplette Gruppe wie 'alt.binaries.erotica.pictures.pornstars' könnte also nicht indiziert werden. Die BPS müßte die einzelnen Artikel begutachten und gegebenenfalls auf den Index setzen - da die meisten News-Server einen Artikel kaum länger als 14 Tage vorhalten, wird die BPS nur noch auf Phantome schießen können."(3)

Wie fragwürdig die Wirksamkeit solcher Kontrollvorstellungen ist, wird auch deutlich anhand eines Vergleichs der Reaktionszeiten staatlicher Institutionen mit der begrenzten Haltezeit(4) von Usenetartikeln.

Eine Übertragung der Pflicht zur inhaltlichen Kontrolle und Bewertung von Daten auf die Provider erscheint - nicht allein wegen der nicht zu bewältigenden Datenfülle, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - weder erstrebenswert noch möglich.

Ein gutes Beispiel für die Absurdität unangemessener staatlicher Eingriffe ist ein Vorfall, der sich unlängst in Österreich ereignet hat. Auf Betreiben der Staatsanwaltschaft München wurde, im Rahmen der Amtshilfe, am 20.03.1997 die gesamte Hardware des Internet-Service-Providers ViP durch österreichische Ermittlungsbeamte beschlagnahmt.

Das Vorgehen der Beamten war dabei äußerst unsachgemäß: die Computer wurden ohne Rücksicht auf mögliche Beschädigungen während des laufenden Betriebes vom Stromnetz genommen und es wurden in den Geschäftsräumen befindliche Server von unbeteiligten Kunden ebenso beschlagnahmt wie unvernetzte Firmenrechner, deren Einsatzzweck die Buchhaltung war.

Anlaß war eine, bereits ein Jahr zurückliegende, Anzeige gegen „Unbekannt" bei der Münchner Staatsanwaltschaft. Ein Kunde des Providers hatte kinderpornographisches Material ins Internet eingespeist. Dieser Vorfall und die erschreckend inkompetente Vorgehensweise der ermittelnden Behörden, die erst nach so langer Zeit tätig wurden, obwohl elektronische Nachrichten üblicherweise bereits nach wenigen Tagen automatisch gelöscht werden, führte dazu, daß die österreichischen Internet-Provider sich solidarisierten und wenige Tage nach dem Vorfall geschlossen für einige Stunden ganz Österreich vom Netz nahmen und damit alle Internet-Verbindungen ins Ausland kappten. (5)

Auch der MDStV-E enthält Bestimmungen über unzulässige Angebote, was die rechtliche Situation jedoch nicht zwangsläufig eindeutiger macht. Patrick Mayer analysiert in Abgrenzung zum Rundfunkrecht:

„Diese Vorschrift [§ 8 MDStV-E] verbietet in der Art der Rundfunkgesetze und angelehnt an die entsprechenden Strafvorschriften volksverhetzende, die Menschenwürde verletzende, kriegsverherrlichende, pornographische und sonst jugendgefährdende Inhalte. [...] Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 5 MDStV-E bedeutet im Kern, daß in Mediendiensten Inhalte generell unzulässig sind, deren Angebot für Erwachsene in anderem Umfeld hingenommen werden würde."(6)

Es könnte also eine Situation entstehen, in der Internet-Inhalte indiziert werden, während die gleichen Inhalte in anderen Medien unbeanstandet verbreitet werden dürften. Eine solche Situation wäre verfassungsrechtlich sicher nicht tragbar. Sie schildert aber anschaulich die derzeitige Misere der Gesetzgebung.

Ein Lösungsansatz für diese Probleme könnte in einer Bewußtseinsänderungen bei den Nutzern liegen, wie Andy Müller-Maguhn formuliert:

„Der moralisch einwandfreie Cyberspace - oder auch die Datenautobahn auf der sich alle korrekt verhalten, bleibt eine Illusion. Entscheidend - um mit diesen Problemen umzugehen - ist allerdings die gesellschaftliche Aufgabe, hier moralische Wertvorstellungen bzw. gesellschaftskompatible Maßstäbe zu setzen, denen sich die Teilnehmer verbunden fühlen, um das pädagogische Know-How zu vermitteln, mit derartigen Problemen umzugehen. Letztlich muß gesellschaftliche Verantwortung von allen Mitgliedern der Gesellschaft wahrgenommen werden - Sie ist weder an elektronische Sittenwächter noch an reale Polizeiinstanzen übertragbar."(7)

Das Internet als Medium(8) stellt nicht die Gefahr für Kinder und Jugendliche dar, die ihm häufig unterstellt wird. Es erfüllt vielmehr primär die Funktion eines technischen Transportmittels (analog der Briefpost) und wirkt darüber hinaus möglicherweise im Sinne eines Strukturverstärkers, der auf ohnehin vorhandene gesellschaftliche Probleme fokussiert. Je mehr Teilnehmer das Internet nutzen, desto eher spiegeln sich darin auch bestehende gesellschaftliche Bedingungen wieder. Das dies auch die gesamte Bandbreite krimineller und ethisch-moralischer Devianzen mit einschließt ist insofern nur natürlich.

Die Anforderung an zukünftige Gesetzgebungsinitiativen im Bereich der IKT und an deren Gestalter muß deswegen lauten:

„Eine differenzierte Internetgesetzgebung wird [..] komplexen Verhältnissen Rechnung tragen müssen. Voraussetzung dafür ist es, daß diejenigen, die diese Gesetze erarbeiten, eine intensive praktische Eigenkenntnis des neuen Mediums und ein reflektiertes Bewußtsein seiner Besonderheiten erlangt haben. Zugleich muß berücksichtigt werden, daß sich das Medium derzeit noch in einer experimentellen Phase befindet und sich die Gesetzgebung selbst auf die zukünftige Struktur dieses Mediums auswirken wird (Rückkopplungseffekt)."(9)

Wenn es bis zur Verabschiedung der beiden Regelwerke nicht noch zu erheblichen Nachbesserungen kommt, steht zu befürchten, daß wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten und Widersprüchlichkeiten, auch in diesem Fall die notwendige Rechtssicherheit wieder erst durch die Gerichte geschaffen werden kann.


(1) Tauss, Jörg< Tauss@mdb5.bn.eunet.de>, News: <de.soc.netzwesen>, Subject: SPD: Stellungnahme zum IuKDG, a.a.O.

(2) Tauss, Jörg <Tauss@mdb5.bn.eunet.de>, News: <de.soc.netzwesen>, Subject: SPD: Stellungnahme zum IuKDG, a.a.O.

(3) König, Volker, Freiheit, die ich meine, in: c't - magazin für computertechnik, 2/97, S. 282

(4) Die Haltezeit (auch: expire) bezeichnet den Zeitraum, bevor Usenetartikel auf den Servern der Provider gelöscht werden, um Platz für neue zu schaffen: für nicht-binäre Artikel durchschnittlich 10 bis 14 Tage, für binäre (Grafiken, Tondateien, etc.) wegen des größeren Volumens oft sogar nur 2 Tage.

(5) Dieser Vorfall fand weltweite Beachtung und ist dokumentiert auf <http://www.internet.at>.

(6) Mayer, Patrick, Internet und andere Kommunikationsnetze - ein rechtsfreier Raum? Nationale Regelungen für die Kommunikation in Datennetzen, Studienarbeit an der juristischen Fakultät der Universität Tübingen, WS 96/97, <http://www.jura.uni-tuebingen.de/ge/seminar/mayer/semina03.htm>

(7) Müller-Maguhn, Andy, Visionen für eine informierte Gesellschaft, in Jörg Tauss, u.a. (Hg.), Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, Baden-Baden 1996, S. 935

(8) In einer Diskussion in der Newsgroup de.soc.netzwesen formulierte ein Teilnehmer ironisch: „Und wenn das Telefon gestern neu erfunden worden wäre könnten wir heute einen Telefonsex-Skandal-Artikel in allen Medien lesen und übermorgen die Forderung nach einem eigenen Telefon-Gesetz."

(9) Sandbothe, Mike, Medienethik im Zeitalter von Internet, <http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1035/1.html>


[Vorherige Seite] [Inhaltsverzeichnis] [Nächste Seite]