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3.2 Internet als Interaktions- und Kommunikationsmedium

Soziologisch bezeichnet Interaktion die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Handlungspartnern. Der Kommunikationsbegriff dagegen ist weiter gefaßt.

    Informationstechnischer Kommunikationsbegriff:
    Vorgang des Informationsaustausches zwischen einem Sender
    und einem Empfänger mittels bestimmter Zeichen und Codes.

    Handlungstheorethischer Kommunikationsbegriff:
    Prozesse, in denen sich Individuen als denkende, sprechende,
    empfindende und handelnde Personen zueinander in Beziehung setzen.

    Systemtheoretischer Kommunikationsbegriff:
    durch generalisierte Kommunikationsmedien (z.B. Macht und Geld)
    vermittelte Verknüpfungen von Ereignissen innerhalb sozialer Systeme,
    sowie zwischen Systemen und ihrer Umwelt.(1)

Der Begriff der interaktiven Medien ist zumindest im Hinblick auf die im Kulturraum Internet real stattfindende Kommunikation verfehlt, denn nicht die Medien interagieren im Internet - vielmehr handelt es sich um technisch vermittelte Kommunikation zwischen Menschen. Grundlegender Unterschied von Kommunikation in Computernetzen zur 'face-to-face'-Kommunikation des real life ist der fehlende materielle Bezug der Interaktionspartner.

Kritiker wie Clifford Stoll(2) und Neil Postman(3) betonen zu Recht, daß die Kommunikation mittels Computer reale und persönliche Begegnungen nicht ersetzen kann. Die Absolutheit des Arguments jedoch, Computer und Internetnutzung könnten reale Sozialkontakte nicht ersetzen, verkennt die Tatsache, daß CMC nicht ausschließlich existiert und mißachtet die kommunikative Bereicherung, die sie bieten kann.

„Begreift man [..] Netz-Kommunikation als Ergänzung zu Face-to-Face-Kommunikation und anderweitiger medialer Kommunikation [...], ergibt sich daraus keine Situation eingeschränkter, sondern vielmehr erweiterter sozialer Lernmöglichkeiten."(4)

Oftmals ergeben sich aus zunächst ausschließlich virtuellen Netzkontakten auch Begegnungen im wirklichen Leben. Mailbox-Nutzer schätzen die traditionellen und regelmäßig stattfindenden Usertreffen schon seit langem. Diese Tradition wird neuerdings auch von Internet-Providern aufgegriffen. RP-Plus, der Provider der Rheinischen Post, betreibt als Service für seine Kunden den sog. Online-Club und organisiert im Raum Düsseldorf jetzt vergleichbare Treffen.

Bei einer ersten Veranstaltung waren bereits 80 User zugegen. Weitere Veranstaltungen sollen folgen, und auch ein Seminarangebot ist geplant (Interneteinführung, HTML-Programmierung usw.). Von den Besuchern hervorgehoben wurde vor allem, daß auch alle Verantwortlichen als Ansprechpartner anwesend waren und daß RP-Plus sich mit dieser Aktion von anderen Providern positiv abhebt.

Für den Provider selbst scheinen derartige Veranstaltungen (neben guter technischer Unterstützung und einem speziellen Kommunikationsforum für die Nutzer) ein geeignetes Instrument zu sein, Kunden an sich zu binden und ihnen ein „Zuhause im Netz" zu bieten. Für die Nutzer ergibt sich eine willkommene Gelegenheit, Anonymität zu überwinden und die Mitbenutzer auch real kennenzulernen. Immerhin kann man im Internet zwar weltweit kommunizieren, aber kennt möglicherweise die Nutzer des eigenen Providers nicht, obwohl die meisten sicher im (Telefon-) Citybereich des Providers, und damit in unmittelbarer Nähe, leben.(5)

Oben genanntes Beispiel mag zwar neu für Internetprovider sein, aber das Bedürfnis, sich über rein virtuelle Kontakte hinaus auch persönlich kennenzulernen, artikuliert sich, egal ob nur zum Zweck des gemütlichen Beisammenseins oder als konkretes Arbeitstreffen, im Internet schon lange aus Eigeninitiative, also auch ohne die konkrete Einladung durch einen Provider.

Auch Döring (1994) und Petzold (1996) finden keine Belege für die These, daß die Nutzung des Internet mit einem Verlust an Emotionalität, Vereinsamung oder einem besonderen Suchtpotential einhergeht.

„Auf die Dauer scheint Netznutzung nicht zur Degeneration der sozialen Beziehungen außerhalb des Netzes und zu Einsamkeit zu führen. Auch die Anzahl reiner Netzkontakte scheint von der Dauer der Netznutzung unabhängig zu sein." (Döring 1994)(6)

„[...] Dennoch ist es hochinteressant festzustellen, daß auf dieser Basis die These der sozialen Isolierung widerlegt werden konnte. Vielmehr konnte bei den Computerfreaks eine eher geringe Erregbarkeit und keine abnorme Persönlichkeitsstruktur diagnostiziert werden." (Petzold 1996) (7)

Kommunikation im nutzungsoffenen Datennetz Internet ist vielfältig. Die Bandbreite erstreckt sich von synchroner Kommunikation, in denen Menschen zeitgleich miteinander in Kontakt treten (z.B. IRC, MOOs, MUDs), bis hin zu asynchronen Anwendungen, in denen Menschen zeitversetzt miteinander kommunizieren (E-Mail, News, WWW). Sozialer Austausch und Begegnung im Internet unterscheidet sich jedoch von einem persönlichen Gespräch im Realraum. Kubicek äußert sich zu den Besonderheiten der CMC:

„Ein medienvermittelter Verständigungsprozeß basiert auf der konsensuellen Nutzung einer bestimmten Technik einerseits und auf der konsensuellen Zuweisung eines 'Sinns' oder einer 'Bedeutung' zu einer Kommunikation oder Mitteilung andererseits - die Voraussetzungen hierfür sind gemeinsam geteilte Kodes, Regeln, Wissens- und Sinnbezüge, in die das medienbezogene Handeln eingebettet ist."(8)

Er unterscheidet also in eine technische und eine inhaltliche Ebene.

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Abbildung 10: Sozialwissenschaftliches Kommunikationsmodell(9)

Überträgt man dieses Modell auf die Kommunikation im Internet, so werden die einerseits unabhängigen, gleichwohl aber auch in Wechselwirkung zueinander stehenden Ebenen deutlich: die technische Fertigkeit, z.B. ein Stellengesuch in der Newsgroup de.markt.arbeit.gesuche zu veröffentlichen, wird erst durch die Interpretation des Lesers und seine anschließende Antwort zur technisch vermittelten sozialen Kommunikation. Damit diese gelingen kann, bedarf es laut Kubicek „[...] sozialer Regelsysteme und Instanzen, durch die die Verwendungsweisen eines technischen Artefakts in einem bestimmten kommunikativen Kontext definiert werden."(10)

Die Ausprägung dieses sozio-technischen Systems verläuft dynamisch und paßt sich ständig veränderten technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an. Damit verändert sich aber auch die Kommunikation der Nutzergemeinschaft. Sie ist dabei zwar keinen formalen Regeln unterworfen, dennoch haben sich allgemein akzeptierte und erprobte Verhaltensweisen herauskristallisiert, die ihren Niederschlag in der schon erwähnten Netiquette (Anhang) gefunden haben.

„Als Ensemble von Verhaltenskonventionen und sozialen Interaktionsregeln ist die Netiquette Ausdruck einer Kultur der Techniknutzung und Grundlage der gemeinschaftlichen Nutzung und Pflege von verteilten Ressourcen. In einer ansonsten weitgehend 'rechtsfreien' Umwelt sind informelle Richtlinien eine wichtige Orientierungsmöglichkeit für das Handeln der Netznutzer. Zur Netiquette gehören nicht nur Regeln des Benehmens, die die Kommunikation unter den Nutzerinnen strukturieren. Zu den Regelungsgegenständen gehört auch die Inanspruchnahme technischer Ressourcen. Insofern ist die Netiquette ein wichtiges Element innerhalb der kooperativen Selbstregulierungsprozesse in einem Netzwerk ohne zentrale Instanzen und formell legitimierte administrative Sanktionsinstanzen."(11)

Betrachtet man einzelne Punkte der Netiquette, so zeigt sich die grundlegende Bedeutung dieser konsensuellen Regularien für das mediale Kommunikations-Handeln und wie sie soziale ebenso wie technische Bedingungen berücksichtigen:

  • Vergiß niemals, daß auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!
  • Erst lesen, dann denken, dann nochmal lesen, dann nochmal denken und dann erst posten!
  • Fasse Dich kurz!
  • Gib eine Sammlung deiner Erkenntnisse ans Netz weiter!

Auch wenn in absehbarer Zeit Anwendungen wie Internetphone (Telefondienst via Internet) oder Video-Konferenzen verstärkt eingesetzt werden könnten, ist Kommunikation für die Massen im Internet derzeit noch weitgehend schriftliche Kommunikation. Dabei unterscheidet sie sich vor allem im Bereich des unmittelbaren Austauschs (E-Mail, Newsgroups und IRC) deutlich von der herkömmlichen Schriftsprache in Briefen oder Publikationen, um das - bei ausschließlich schriftlicher Kommunikation zwangsläufige - Fehlen wichtiger Sinneseindrücke zu kompensieren.

So hat sich die Verwendung von sogenannten Akronymen (12) und Emoticons(13) (auch Smileys) durchgesetzt, die helfen sollen, das Manko der schriftlich vermittelten Kommunikation, also das Fehlen von z.B. Gestik und Mimik als Äußerung von Gefühlen und Stimmungen, auszugleichen. Das Emoticon :-) beispielsweise drückt Freude oder Lachen aus (zu erkennen, wenn man bei der Betrachtung den Kopf auf die linke Schulter neigt). Diese kommunikativen Hilfsmittel haben ihre Wurzeln in einer Zeit, als Bandbreite und Datenübertragungsraten noch sehr begrenzt waren. Dabei halfen sie, neben dem Transport von Attitüden, Stimmungen und Gemütszuständen, auch Tipparbeit und Bandbreite zu sparen (im Bereich der ebenfalls reduzierten Kommunikation von Radioamateuren war eine ähnliche Entwicklung zu beobachten).


(1) Differenzierung nach: Schäfers, Bernhard, Grundbegriffe der Soziologie, 4. verb. u. erw. Aufl., Opladen 1995, S. 154 f.

(2) Stoll, Clifford, Die Wüste Internet, Frankfurt/Main 1996

(3) „Es ist zwar gut, daß wir Telefon haben, aber mit einem Anruf reicht man eben nicht die Hand und berührt einen anderen. So sehe ich auch das Internet nicht als Gemeinschafts- und nicht als Konversationsmedium." Postman, Neil, Interview der ZEIT in: ZEIT Punkte 5/96

(4) Döring, Nicola, Isolation und Einsamkeit bei Netznutzern? Öffentliche Diskussion und empirische Daten (Ergebnisse einer empirischen Stichproben-Untersuchung unter 350 Netznutzern im Zeitraum August-Oktober 1994), TU Berlin, Institut für Psychologie, FB 11, <ftp://ftp.uni-stuttgart.de/pub/doc/networks/misc/netz_und_einsamkeit>

(5) Die Informationen zu den beschriebenen Aktivitäten erhielten wir via E-Mail von Sylvia Marler-Feekes <clubmaster@online-club.de>, Subject: Re: Anfrage, Date: 8. April 1997, Message-ID: <v03007807af6fb7f8c83d@[149.221.247.78]>

(6) Döring, Nicola, Isolation und Einsamkeit bei Netznutzern?, a.a.O.

(7) Petzold, Matthias u.a., Forschungsbericht: Persönlichkeitseinstellungen und Computernutzung bei Studentinnen und Studenten, Institut für Entwicklungs- und Sozialpsychologie der Universität Düsseldorf, <http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/epsycho/perscomp.htm>

(8) Kubicek, Herbert und Schmid, Ulrich, Alltagsorientierte Informationssysteme als Medieninnovation, <http://infosoc.informatik.uni-bremen.de/internet/fgtk/OnlineInfos/Medieninnovation/Medieninnovation.html>

(9) aus: Kubicek, Herbert und Schmid, Ulrich, Alltagsorientierte Informationssysteme als Medieninnovation, a.a.O., nach John Fiske: Introduction to Communication Studies, London 1990

(10) Kubicek, Herbert und Schmid, Ulrich, Alltagsorientierte Informationssysteme als Medieninnovation, a.a.O.

(11) Hoffmann, Ute, „It's life, Jim, but not as we know it..." - Netzkultur und Selbstregulierungsprozesse im Internet, <http://duplox.wz-berlin.de/docs/ta.html>, auch erschienen in: TA-Datenbank-Nachrichten, Nr. 3, 4. Jg., August 1995, S. 33-38

(12) Akronyme sind Inital- und Kurzwörter die aus zusammengerückten Anfangsbuchstaben gebildet werden (z.B. LOL für 'laughing out loud' oder ROTFL für 'rolling on the floor laughing').

(13) Als Emoticons und Smileys werden einfache ASCII-Zeichenfolgen verstanden, die wie Piktogramme eine Information (hier Gefühle) veranschaulichen. Der Begriff Emoticon selbst ist eine Zusammensetzung aus den Wörtern 'emotion' und 'icon'.


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