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3.5 Neue Lernformen und medienpädagogische Aspekte

Es erscheint verkürzt, Medienpädagogik allein mit dem Konzept der Informations- und kommunikationstechnischen Grundbildung erfassen zu wollen, wie es Mitte der Achtziger Jahre erstmalig durch die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung beschrieben wurde und seitdem an den Schulen im Informatikunterricht umgesetzt wird.

Klaus Haefner versteht unter Medienpädagogik allgemeiner „die Wissenschaft von der Mediatisierung und deren Bewältigung durch den aufgeklärten Menschen."(1) Er verweist damit auf die Veränderung der informationellen Umwelt und deren Bewältigung und Aufklärung durch die Pädagogik.

Die Medienpädagogik hat überall dort Relevanz, wo Medien die Erziehung, die Sozialisation und die Aus- und Weiterbildung des Menschen prägen.

Eine der IKT und den gesellschaftlichen Abforderungen gerecht werdende Pädagogik stellt deshalb gerade heute eine aktuelle Herausforderung für alle Institutionen des Erziehungs- und Bildungswesens, und damit auch für die Soziale Arbeit dar. Dies belegen Reinmann-Rothmeier und Mandl, indem sie feststellen:

„Um Anforderungen dieser umfangreichen und komplexen Art gerecht werden zu können, bedarf es gewissermaßen der 'Teamarbeit' im übertragenen Sinne. Politische Maßnahmen, wirtschaftliche Impulse, Anstrengungen seitens Familie und Erziehung sowie Aktivitäten des Bildungswesens sind gemeinsam gefordert, wenn es darum geht, die Menschen für die 'Informationsgesellschaft' - die eben mehr ist als eine auf Information basierende Gesellschaft - zu rüsten.

Es handelt sich folglich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und sie ist drängend. [...] Es ist davon auszugehen, daß vor allem eine flächendeckende Etablierung der Datennetze nicht nur die Kommunikation verändern, sondern auch neue Arbeits- und Lernweisen bewirken wird, die wohl auch andere und neue Fähigkeiten erfordern. Hoffnungen und Erwartungen der Art, daß Multimedia und Datennetze einmal die Verbreitung von Wissen und Bildung erleichtern und auf diese Weise die Chancengleichheit optimieren, lassen sich nur dann erfüllen, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft so ausgebildet sind, daß sie die Möglichkeit haben, in gleichem Maße von den neuen Technologien und Informationssystemen zu profitieren."(2)

Multimedia-Anwendungen und hier insbesondere Computernetzwerke wie das Internet, ermöglichen und erfordern - didaktisch und methodisch aufbereitet - unterschiedliche und neuartige Formen des Lernens und der Kooperation:

  • sowohl individuelles, selbstbestimmtes Lernen als auch kooperatives Lernen in Gruppen wird gefordert (z.B. Fernstudium, virtuelle Seminare, schulübergreifende Projekte)
  • interdisziplinäre Lernformen (Hyperlinks im WWW verweisen auf Darstellungen und Betrachtungen aus der Sicht unterschiedlichster Fachbereiche)
  • flexible Lehr- und Lernerfahrungen (der Informationspool des Internet ist aktueller und vielfältiger als Schulbücher es je sein könnten)
  • vorausgesetzt, die Bereitschaft dazu ist vorhanden, können Lehrende zu Lernenden werden und umgekehrt (Schüler gestalten Lerninhalte mit, weil sie in technischer Hinsicht oft mehr Know-How haben als ihre Lehrer; Lehrer werden zu partnerschaftlichen Gestaltern der Lernatmosphäre; Schüler haben vermehrt Gelegenheit eigene Wissensvermittlung und dafür notwendige Techniken einzuüben)
  • Entwicklung neuartiger Problemlösungsstrategien (die Interaktivität von Computernetzen fördert (und erfordert) die Aktivität des Lernenden; die Vielfalt der Information und deren Einordnung erfordern neue Methoden und Lerntechniken)

Bei allen Möglichkeiten, die sich durch Computer- und Internetnutzung im Bildungswesen und in den Feldern der Sozialen Arbeit eröffnen (Effizienzsteigerung, Vernetzung, Informations- und Kommunikationsvielfalt), bleiben die Netzwerke und der Computer lediglich ergänzende Werkzeuge der traditionellen (Medien-) Pädagogik und dienen damit zum Beispiel der Recherche, dem Kontakt und dem Austausch mit (Lern-) Gruppen an entfernten Orten.

Der virtuelle Ausflug einer Schulklasse in das WWW-Angebot des Louvre(3) in Paris unterscheidet sich jedoch ohne Zweifel von einem museumspädagogischen Exkurs in ein reales Museum, in dem die Kunstwerke nicht nur als hochauflösende Grafik betrachtet, sondern auch sinnlich erlebbar werden. Die Informationen im Internet könnten in diesem Beispiel der Vorbereitung des Museumsbesuches dienen. Medienpädagogische Projektarbeit kann hier im Vorfeld und in der Nachbereitung des Museumsbesuches ansetzen (Recherche über Künstler und Stilarten, Erstellen eines eigenen virtuellen Museums o.ä.).

Eine Medienpädagogik, die den Einsatz des Internet oder andere Elemente des virtuellen Lernens (E-Mail, Edutainment-Software, vernetztes Lernen) situativ in die Lebens- und Erfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen integriert, dient dabei nicht nur der Ausbildung von Medienkompetenz, sondern auch dem sozialen Lernen in der Gruppe.

Weil medienpädagogische Konzepte ihre Bedeutung immer auch im Kontext des politischen Wandels erhalten, müssen die in der Bildung Tätigen sich heute der emanzipatorischen Dimension des Mediums Internet bewußt werden. Das bedeutet, daß sie lernen müssen, die expressiven Möglichkeiten und diejenigen des selbständigen, kommunikativen und kritischen Gebrauchs zu nutzen. Dies gilt besonders dann, wenn im Zuge der Einführung von Citynetzen und massenmedialen Anwendungen der Ruf nach Medienkompetenzvermittlung vorrangig als eine Strategie zur Akzeptanzbildung laut wird. Gerade dann werden nicht passive Rezipienten benötigt, deren Medienhandeln sich in erster Linie auf Konsum und Entertainment beschränkt, sondern selbstbewußte und aktive Mitgestalter des Gemeinwesens.

Medienpädagogen und andere in der Bildung Tätige müssen also zunächst selbst ausreichende Fähigkeiten und Kompetenzen entwickeln, um:

  • „die Medienwelt von Kindern und Jugendlichen in ihrer Vielfalt erfassen zu können,
  • Wege zu finden, um über Gehörtes, Gelesenes und Gesehenes offen und kritisch zu sprechen,
  • den eigenen Umgang mit Medien zu reflektieren,
  • aktuelle Medienangebote, ihre Beschaffenheit, ihre Produktionsbedingungen und ihre Wirkungsmöglichkeiten analysieren zu können,
  • handwerklich-technische Fähigkeiten zu entwickeln und mit Schülerinnen und Schülern Medienprodukte erarbeiten zu können,
  • die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion zur Mediennutzung und Medienwirkung systematisch zu verfolgen." (4)

Ein zentrales Ziel der Medienpädagogik ist es also, Zusammenhänge von Medienwirkungen in ihrer Abhängigkeit von Politik und Ökonomie transparent zu machen. Dazu bedarf es zunächst der handlungs- und erfahrungsorientierten Vermittlung von Kenntnissen über die Vielfalt des Medienangebotes. Erst danach kann die zweckgebundene Auswahl von Medien aufgrund der vorausgegangenen Analyse des Angebotes erfolgen. Sämtliche Bemühungen müssen sich dabei an den individuellen und kulturellen Voraussetzungen der Zielgruppe orientieren.

Praktisch-gestalterische Medienarbeit ist ein geeignetes methodisches Instrument, um o.g. Ziel zu erreichen und entsprechende Erfahrungswerte zu vermitteln. Sich selbst als Medienproduzent und nicht wie üblich in der Konsumentenrolle zu erleben, führt zum vertieften Wissen über Funktionen, Strukturen und Wirkungsmöglichkeiten des Mediums.

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Abbildung 17: learning by doing(5)

Bei allen Bemühungen der Medienpädagogik, muß Kindern und Jugendlichen aber immer genügend Freiraum verbleiben, um sich in Eigeninitiative mit den Medientechnologien und deren Inhalten auseinanderzusetzen. Sie müssen Rückzugsräume genauso wie Experimentierfelder behalten, während die Pädagogen das nötige Instrumentarium und damit eine geeignete Lernumgebung zur Verfügung stellen. Junge Menschen zeigen in Bezug auf die Nutzung von Computern eine hohe intrinsische Lernbereitschaft und entwickeln durch aktive und spielerische Auseinandersetzung mit dem Medium eine erstaunliche Auffassungsgabe und Handlungskompetenz.

Auch wenn die Eigenaktivität von Kindern in diesem Falle im Vordergrund steht, ist es Aufgabe von Eltern und Erziehern, für die Aufarbeitung von Medienerlebnissen durch Gespräche oder für spielerisch-kreative Formen der Bewältigung zur Verfügung zu stehen.

„Damit endet Lernen in der Informationsgesellschaft nicht mit dem Erwerb des Schulabgangszeugnisses, des Gesellenbriefes oder des Hochschuldiploms. Fakten und Regeln lernen muß zunehmend durch das 'Lernen lernen' ersetzt werden. Der einzelne ist gefordert, sein Wissen permanent zu aktualisieren. Leitbild muß das Life-long-learning werden. Damit kommt auf die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen eine ganz besondere Herausforderung zu. Sie erhalten veränderte Aufgaben. Zielvorstellung muß es sein, daß die Lehrenden Moderatoren im Bildungsprozeß und damit Partner des Lernens werden."(6)


(1)Haefner, Klaus, Medienpädagogik im Computerzeitalter, in: Ludwig J. Issing, (Hg), Medienpädagogik im Informationszeitalter, Weinheim 1987, S. 33 f.

(2) Reinmann-Rothmeier, G. und Mandl, H., Auf dem Weg ins Informationszeitalter? Was Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit bewegt, was auf die Gesellschaft und auf die Bildung zukommt (Forschungsbericht Nr. 54), Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität, München 1995.

(3) <http://mistral.culture.fr/louvre>

(4) vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hg.), Medienerziehung in der Schule - Orientierungsrahmen -, Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Heft 44, Bonn 1995

(5) Foto von Marek Vogel in ZEIT Punkte - Der Mensch im Netz (Sonderdruck des Wochenmagazins Die ZEIT), Hamburg 5/96, S. 49

(6) Franz Thönnes bei der 1. Lesung des IuKDG im Bundestag am 18.04.97, News: <de.soc.netzwesen>, From: <Horns@t-online.de> (Axel H. Horns), Subject: (lang) IuKDG im BT 18.04.1997: Dr. Edzart Schmidt-Jortzig, Date: 21 April 1997, Message-ID: <5jfs8b$33u$7@news02.btx.dtag.de>


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