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3.7 IKT und Freizeit

„Angenommen, Sie schauen sich auf der Homepage von Eddie Bauer´s (einem elektronischen Versandhauskatalog) nach Stiefeln um und möchten wissen, ob die Stiefel, die Ihnen zusagen, sich für die Sumpfgebiete in Florida oder für eine Gletscherwanderung eignen; dann klicken Sie einfach einen Knopf an, und ein Berater meldet sich bei Ihnen und gibt telefonisch Auskunft."(1)

Diese Vision von Bill Gates aus dem Jahre 1995 ist nunmehr, zwei Jahre später, zumindest hierzulande noch nicht allzu verbreitete Realität. Anwendungen wie Tele-Shopping oder Video-on-Demand treffen in Deutschland (noch) nicht auf breite Resonanz. Internet- und Computernutzung prägen zwar auch hier schon das Freizeit-Verhalten mit, jedoch sind die dadurch bewirkten Veränderungen nicht so gravierend wie vielfach angenommen. Der Freizeitforscher Opaschowski sieht in seiner Studie „Die multimediale Zukunft" keine Anhaltspunkte dafür, daß sich durch Multimedia und Computernetze der Alltag und die Freizeit in naher Zukunft grundlegend verändern werden.

„Die Technologien verändern sich schneller als die Gewohnheiten der Konsumenten.[...] Und entgegen der Zukunftshoffnung der Medienbranche - 'Nichts bleibt so wie es war' - vertrauen die Konsumenten eher auf ihren alten Medienkonsum zwischen Gewohnheit, Bequemlichkeit und gelegentlicher Interaktivität."(2)

Es zeichnet sich im Gegenteil eine deutliche Diskrepanz zwischen der Erwartungseuphorie auf Anbieterseite und einer Zurückhaltung auf Seiten der Nutzer ab.

William F. Ogburn(3) prägte den in diesem Zusammenhang bedeutenden Begriff des cultural lag. Damit ist gemeint, daß Veränderungen in politischen und sozio-kulturellen Systemen gemeinhin den technischen Entwicklungen hinterherhinken.

Opaschowski sieht dafür, neben mangelnder Kompetenz, hohem Zeitaufwand und dem nicht zu unterschätzenden Kostenfaktor, vor allem psychologische Gründe. Er benennt speziell Ängste vor Überforderung durch die Technik, vor Vereinsamung durch verstärkte Computernutzung und - bei einem wachsenden Bevölkerungsanteil - sogar eine grundsätzliche Ablehnungshaltung gegenüber den neuen multimedialen Angeboten. Er spricht deshalb von einer Mediaphobie, der Angst vor einer Medienflut, der nur die jüngere Generation gelassen gegenübersteht:

„Immer mehr TV-Programme, Videofilme und Computerspiele sowie eine wachsende Vielfalt von Möglichkeiten zu Tele-Shopping und Tele-Kommunikation machen auf die Konsumenten den Eindruck der Lawinenhaftigkeit [...]Das zukünftige Zeitalter der Telekommunikation wird von ihnen als Bedrohung empfunden. Auswege, sich aus den Armen dieses 'Polypen Multimedia' zu befreien sehen sie kaum."(4)

Der Umgang mit den neuen Informationstechnologien erfordert die Benutzung von Computern. Computerbesitz ist jedoch signifikant häufiger bei jungen Menschen und bei Menschen mit hohem Bildungsabschluß. Opaschowski unterscheidet deswegen zwei Technikgenerationen:

„Die Älteren wehren und sperren sich mehrheitlich gegen das neue Multimedia-Angebot. Die Jüngeren hingegen schätzen die Multimedia-Möglichkeiten für die Privatspäre deutlich positiver ein."(5)

Und diese, hauptsächlich jungen, männlichen und gebildeten, Nutzer der Computernetze wissen das Angebot tatsächlich zu nutzen. Sie haben die nötige Kompetenz und die finanziellen Ressourcen, um die Technologien zur Kommunikation und Information, aber auch zu Unterhaltungszwecken zu verwenden.


Abbildung 19: Internet-Nutzungsverhalten in Deutschland(6)

Auch Döring stellt in ihrer Untersuchung fest, daß die Möglichkeiten des Internet konstruktiv genutzt werden:

„Die befragten Netznutzer schienen das Netz nicht eskapistisch zur Realitätsflucht, sondern eher konstruktiv zur Alltagsbewältigung einzusetzen: Sie beschafften sich Informationen für den Urlaub, für ihr Hobby oder für eine Diplomarbeit, kauften und verkauften Einrichtungsgegenstände, Eintrittskarten und Computerteile, fanden Diskussionspartner und WG-Bewohner und fühlten sich gut unterhalten. [...] Studium, Beruf und Hobby geben ihnen meist den Anstoß zur Auseinandersetzung mit dem Netz; für andere Bevölkerungsgruppen, insbesondere für Frauen, bestehen noch erhebliche Zugangsbarrieren."(7)

Es bleibt weiter festzuhalten, daß die alten Medien von den neuen nicht notwendigerweise verdrängt werden. Obwohl die Zeit, die für die Internetnutzung verwandt wird, meist auf Kosten des TV-Konsums geht. Die neuen Informationstechnologien treten vielmehr ergänzend neben den traditionellen Medien auf. Inwieweit sich tatsächliche Strukturveränderungen durch die IKT einstellen werden, ist derzeit noch nicht zu prognostizieren. Ein Ende der Massenkommunikation herkömmlicher Ausprägung ist nach Tauss zumindest heute noch nicht in Sicht.

„So unterscheiden sich beispielsweise die in Deutschland besonders stark diskutierten neuen Kommunikationsmöglichkeiten wie Video-on-Demand, Pay-TV oder auch Teleshopping im Grad ihrer Interaktivität nur in der Möglichkeit einer freieren Zeiteinteilung von den 'traditionellen' Medien wie Fernsehen oder Radio, nicht aber in ihrer Eigenschaft als 'Massenkommunikation." (8)

Eine soziologische Klassifizierung, wie sie mit den Begriffen Freizeit- und Erlebnisgesellschaft versucht wird, kann aufgrund der gesellschaftlichen Fragmentierung zwar nicht pauschal gelten. Unbestritten ist jedoch, daß Freizeit für die Menschen einen immer höheren Stellenwert einnimmt und für die Wirtschaft einen immensen Markt darstellt. Die Medienwelt, und damit zunehmend auch das kommerziell genutzte Internet, werden Initiatoren von Trends und Lebensstilen und vermitteln Rekordumsätze bei der Vermarktung zugehöriger Produkte.

Negroponte(9) beziffert z.B. die Gewinne der Softwarehersteller für Computerspiele weltweit mit 15 Milliarden Dollar. Der Medienkritiker und Kommunikationswissenschaftler Herbert I. Schiller stellt dazu fest:

„Die Monopole sind stärker denn je und diese Machtkonzentrierung geht weiter. Das umfasst inzwischen ein grosses Gebiet, nicht nur die 'Medien'. Alle Formen der Kommunikation sind in diesen Konzern-Konglomeraten konzentriert. Time Warner hat ein Barvermögen von über 20 Milliarden Dollar, ist im Bereich Radio, Plattenstudio, Filmstudio, in der Fernsehprogramm-Gestaltung und zunehmend auch im Einzelhandel tätig, wo sie die Sachen verkaufen, die sie zuvor in ihren Filmen vorführen. Disney ist ein anderes gigantisches Konglomerat. Dann gibt es noch Viacom, denen MTV gehört und die eine bemerkenswerte Arbeit beim Verkauf von Populärkultur leisten, die den Kids langsam das Denken abgewöhnt. Mit eingeschlossen sind Computer- und Telefonkonzerne. Die Telefonnetze gehören allesamt Mega-Konglomeraten. CBS gehört Westinghouse, NBC gehört General Electric. ABC wurde erst kürzlich von Disney gekauft und Fox gehört zu Murdoch. Zu meinen, daß alles das zerfällt, ist unrealistisch." (10)

Welche Entwicklung letztlich dominieren wird, sei es eine weiter zunehmende Kommerzialisierung der Freizeit oder eine Entwicklung, die einen, darüber hinausgehenden, bereichernden individuellen Nutzwert bietet, dürfte eine spannende Aufgabe für kommende mediensoziologische Betrachtungen werden.


(1) Gates, Bill, Der Weg nach vorn, Hamburg 1995, S. 214

(2) Opaschowski, Horst W., Die multimediale Zukunft - Analysen und Prognosen, Studie des Freizeit-Forschungsinstitutes der British-American Tobacco, Hamburg 1996, S. 30

(3) Ogburn, William F., Kultur und sozialer Wandel, ausgewählte Schriften, Neuwied 1969

(4) Opaschowski, Horst W., Die multimediale Zukunft - Analysen und Prognosen, Studie des Freizeit-Forschungsinstitutes der British-American Tobacco, Hamburg 1996, S. 41 f.

(5)Opaschowski, Horst W., a.a.O., S. 43

(6) Quelle: International Data Corporation in: Spiegel Special 3/97, Der digitale Mensch

(7) Döring, Nicola, Isolation und Einsamkeit bei Netznutzern? Öffentliche Diskussion und empirische Daten, (Ergebnisse einer empirischen Stichproben-Untersuchung unter 350 Netznutzern im Zeitraum August-Oktober 1994), TU Berlin, Institut für Psychologie, FB 11, <ftp://ftp.uni-stuttgart.de/pub/doc/networks/misc/netz_und_einsamkeit>

(8) Tauss, Jörg u.a. (Hg.), Wege in die Informationsgesellschaft, in: Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, Baden-Baden 1996, S. 71

(9) vgl. Negroponte, Nicholas, Total Digital, Die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der Kommunikation, München 1997, S. 105.

(10) Schiller, Herbert I., Das Ungleichgewicht der Informationen - Information Inequality, Interview mit Geert Lovink, <http://www.heise.de/tp/deutsch/special/pol/8017/1.html>


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