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2 Politische Aspekte der IKT

Bereits die traditionellen Massenmedien, Rundfunk und Presse haben in einer pluralistisch-, repräsentativ-verfaßten Demokratie wesentliche Aufgaben und eine nicht zu unterschätzende Macht- und Kontrollfunktion. Nach Susanne Hiegemann (1) kann das Ziel gesellschaftlicher Auseinandersetzung nur mit Hilfe der Massenmedien realisiert werden:

„Erst so entsteht der 'Meinungs- und damit auch der politische Willensbildungsprozeß [...], der den formellen Anspruch der Demokratie erst mit materieller Substanz füllt.'"(2)

Hiegemann weist den Massenmedien folgende öffentliche Aufgaben zu:

  • Herstellung von Öffentlichkeit
  • Informationsfunktion
  • Kritik- und Kontrollfunktion
  • Meinungsbildungsfunktion
  • Erziehungs- und Bildungsfunktion
  • Unterhaltungs- und Rekreationsfunktion

Der Kommunikationswissenschaftler Dietmar Boigner verweist bei seiner Medienbetrachtung ebenfalls auf den zentralen Begriff der Öffentlichkeit:

„Im Bereich des demokratisch-politischen Systems vermögen die Medien Öffentlichkeit herzustellen. Genauer gesagt: Ohne Medien würde 'Öffentlichkeit' gar nicht existieren. Sie entsteht erst, indem Informationen via Massenmedien weithin zugänglich gemacht werden. In einer Demokratie, wo politische Entscheidungen allein durch den Ausdruck des Mehrheitswillens legitimierbar sind, wird mittels der Medien grundsätzlich eine Basis zur breiten Diskussion von Meinungen und Standpunkten geschaffen. Keine demokratische Willensbildung kann darauf verzichten [...]."(3)

Die neuen Kommunikationstechnologien, und hier insbesondere das Internet, könnten bei weiterer Verbreitung ein ähnlich aufklärerisches Potential entwickeln wie die klassischen Medien es bereits bieten.

Rundfunkanstalten und Verlage nutzen das Internet schon heute. (4) Für sie geht es dabei zunächst um eine erweiterte Form der Distribution. Praktiziert wird dabei nicht eine 1:1-Umsetzung, z.B. der Printausgabe einer Tageszeitung auf das neue Medium, sondern ein Exzerpt interessanter Aufmacher und darüber hinaus eine Nutzung der neuen multimedialen Möglichkeiten (z.B. Tonversionen von Interviews oder Radiosendungen mit Hilfe von Real-Audio(5).

Da die Produktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Informationssammlungen von Hochschulen, die Bestände von Bibliotheken, aber genauso Daten von Verwaltungsbehörden meistens schon in digitaler Form vorliegen und zudem vom Steuer- und Gebührenzahler finanziert sind, liegt die Forderung nahe, eine Präsentation und Abrufbarkeit dieser Inhalte zukünftig grundsätzlich auch im Internet zu ermöglichen.

Mit privaten Angeboten im WWW (World Wide Web), in Mailinglisten(6) und diversen Diskussionsforen des Usenet(7) existiert schon eine Graswurzel-Ebene, auf der - abseits von offiziellen Verlautbarungen und Pressemitteilungen - mit privatem Engagement eine informierte (Gegen-) Öffentlichkeit und Meinungsvielfalt geschaffen wird.

So dienten beispielsweise Newsgroups (Diskussionsforen) des Usenet und Mailboxsysteme (hier: ZaMir-Net) während des Krieges in Bosnien-Herzegowina als Medium der Kommunikation zwischen Bevölkerung und Hilfsorganisationen einerseits, sowie der Kontaktaufnahme und der Information der Weltöffentlichkeit andererseits.(8)

Mit dem Internet, als einem Kommunikations- und Informationsnetz(werk), hat sich ein politischer Informations- und Diskussionsraum entwickelt. Im Gegensatz zur Top-Down-Kommunikation(9) der klassischen Medien ist

„[...] jeder Teilnehmer eines Computerkommunikationsnetzwerkes [..] gleichzeitig Informationsrezipient und -produzent. Jeder Schreibtisch ist eine Druckerpresse, ein elektronisches Podium, eine Multimedia-Sendeanstalt. Jeder Teilnehmer ist potentiell mit jedem anderen Teilnehmer verbunden. Die Macht der Viele-an-viele-Medien ist radikal dezentralisiert und ist deshalb eine Gefahr für weitgehend zentralisierte Machtstrukturen."(10)

Weil die klassischen Medien, durch die strukturelle Beschränkung limitierter Sendekapazitäten, aus einer Fülle von Informationen und Ereignissen, nach ausgewählten Kriterien, eine gezielte Auswahl treffen müssen, kommt es zwangsläufig zu Ausgrenzungen und daraus resultierenden Informationslücken.

Das Internet hingegen kann auf eine viel größere Anzahl von Sendern und Informationsquellen zurückgreifen, die zudem polydirektional miteinander vernetzt sind. Es bietet daher wesentliche Chancen für eine inhaltliche Ausgewogenheit. Der Informationsfluß entspringt hier an der Basis. Hinzu kommt das Vorhandensein eines ständig präsenten Rückkanals, der bei den klassischen Medien höchstens in rudimentärer Form angelegt ist. Jeder Teilnehmer hat im Internet die Möglichkeit zur unmittelbaren Stellungnahme, kann Sender und Empfänger zugleich sein.

„Solange die Viele-an-viele-Medien für die gesamte Bevölkerung zugänglich sind, solange sie erschwinglich, leicht zu handhaben und als Forum für freie Meinungsäußerung gesetzlich geschützt sind, versprechen sie die Wiederbelebung der Öffentlichkeit. Im 16. Jahrhundert wurden die Fundamente der Demokratie gelegt, als die damalige Informationstechnologie, nämlich der Buchdruck, das Veröffentlichungsmonopol der Kirche und Könige brach. Ein Jahrhundert nach Gutenberg konnten zig Millionen Europäer schreiben und lesen. Auf dieser Fähigkeit gründete die Demokratie. Könnte das einfache Mailbox-System die Druckerpresse der nächsten Revolution sein?"(11)


(1) Hiegemann, Susanne, Kabel- und Satellitenfernsehen - Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland unter ökonomischen, politischen und inhaltlichen Aspekten, Bonn 1988, S. 13 ff.

(2) Hiegemann, Susanne, a.a.O., in Anlehnung an Ernst Fraenkel und Karl-Dietrich Bracher, Staat und Politik, Frankfurt/Main 1968

(3) Boigner, Dietmar, Kommunikation, Wien 1990, S. 61

(4) Bekannte Beispiele sind die WWW-Angebote von ARD, WDR, taz, Stern oder Spiegel. Darüber hinaus existieren auch sog. Newsletter, die per Email an Abonnenten verteilt werden (z.B. Edupage, ein Pressespiegel großer amerikanischer und internationaler Tageszeitungen und Nachrichtenagenturen zum Thema Computer und Neue Medien).

(5) Softwarestandard für die Übertragung komprimierter Audiodateien via Internet.

(6) Auf E-Mail-Technik basierende verteilte Diskussionsliste.

(7)Eine thematisch strukturierte Hierarchie von Diskussionsforen mit weltweiter Verbreitung; ein Teil des Internet.

(8) vgl. Kurzidim, Michael, Freiheitskämpfer - Widerstandsgruppen und Menschenrechtler im Internet, c't - magazin für computertechnik, 11/95, S. 66

(9) Top-Down bezeichnet hier die Richtung, in der Kommunikation sich in den klassischen Medien bewegt (One-to-Many: Auswahl und Präsentation von Informationen durch wenige für viele).

(10) Rheingold, Howard, Die Zukunft der Demokratie und die vier Prinzipien der Computerkommunikation, in: Kursbuch Neue Medien, Bollmann, Stefan (Hg.), Mannheim 1995, S. 190

(11) Rheingold, Howard, Die Zukunft der Demokratie und die vier Prinzipien der Computerkommunikation, in: Kursbuch Neue Medien, Bollmann, Stefan (Hg.), Mannheim 1995, S. 194


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